Der Akt in der Moderne in Riehen bei Basel

11.01.2016 08:49

E.-L. Kirchner - Badende Frauen und Kinder

Der Begriff „Akt“ wird aus dem lateinischen „Actus“ (Handlung, Bewegung) hergeleitet und bezeichnete ursprünglich die Stellung eines nackten, lebenden Modells zu Studienzwecken. Heute versteht man darunter jede Form von Darstellung eines nackten Menschen. In diesem Sinne entstanden erste Aktdarstellungen in den frühen Kulturen, wie zum Beispiel die Venusstatuetten. Kleine, meist streng stilisierte plastische Arbeiten aus Stein, Knochen, Elfenbein oder Ton, die nackte, fettleibige Frauen darstellten, wobei die weiblichen Merkmale, bei geschlossener Haltung, extrem stark herausgearbeitet wurden. Es handelte sich wohl um Fruchtbarkeitssymbole. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die sogenannte Venus von Willendorf.

 

 

Der Akt in der Antike

Einen ersten Höhepunkt erreichte die Aktdarstellung in der griechischen und römischen Antike. Seit der archaischen Epoche wurden männliche, sportlich geübte Körper idealisiert und in Stein oder gemalt auf Schalen und Gefässen verewigt. Um 350 v. Chr. schuf der aus Athen stammende Bildhauer Praxiteles mit der Aphrodite von Knidos erstmals eine plastische, monumentale, rundum zu betrachtende Darstellung eines nackten weiblichen Körpers und erlangte hierdurch Weltruhm. Sie wurde sogleich zu einem der meistbewunderten Werke der Antike, eine Revolution in der abendländischen Kunst.

Praxiteles bildete nicht ein starres Ideal ab, er fing den Moment ein. Er wusste, wie man harmonisch das Zusammenspiel der Körperteile gestaltet und ihm war der realistische Gesamteindruck ebenso wichtig wie die perfekte Proportion. Der Künstler wusste, dass bis dahin die Göttin nur in kleineren Statuen nackt geschaffen wurde, noch nie aber überlebensgross. Er erhielt einen Auftrag von den Bürgern von Kos für eine Skulptur der Göttin Aphrodite und entschloss sich zwei Versionen herzustellen: Eine, der Tradition folgend bekleidet und eine revolutionäre Version, nackt. Für diese Zweite soll der Überlieferung nach die Hetäre Phryne Modell gestanden haben. Ein Skandal!

Die Bürger von Kos entschieden sich für die bekleidete Version, aber Praxiteles gelang es, den Akt nach dem nicht weit davon entfernten Knidos zu vermitteln. Hier wurde das Standbild in einem der Göttin geweihten Tempel aufgestellt und zuerst empört aufgenommen, dann aber bald bewundert. Von der Aphrodite von Knidos wurden bereits in der Antike zahlreiche Kopien angefertigt, immer mehr Darstellungen des nackten, weiblichen Körpers wurden in Stein gemeisselt, später auch gemalt, diese blieben aber bis zum 19. Jahrhundert immer an ein Thema gebunden, benötigten einen Vorwand.


Der Akt im Mittelalter

Im Mittelalter gab es kaum Aktdarstellungen, sie nahmen erst in der Renaissance wieder zu und zwar als Proportions-Studien, als Darstellungen nach antiken Skulpturen oder nach toten, in seltenen Fällen auch lebenden Modellen. Auch sie blieben stets einem Motiv verbunden: Götter, Heroen, biblische Figuren oder Allegorien konnten entblösst erscheinen. Besonders beliebt waren bei den weiblichen Akten die Göttin der Liebe, der Schönheit und der Begierde, Aphrodite – später lateinisch Venus - und die Menschheits-Mutter Eva.

Erst die französischen Impressionisten lösten die Darstellung des nackten menschlichen Körpers von einem bestimmten, vorgegebenen Thema und schufen sie als ein selbständiges Motiv. Das Modell war oft bekannt, was wie schon in den Anfängen - bei Praxiteles - zu heftigen Diskussionen führen konnte. Sie erhoben den Akt zu einem eigenen Genre und malten sowohl männliche wie auch weibliche nackte Menschen im Atelier und im Freien. Der Siegeszug des Aktes als selbständige Darstellung hatte begonnen und wurde im Expressionismus, als Ausdruck innerer Stimmungen und Gefühle, zu einem der beliebtesten und häufigsten Motive.


Der Akt in der Moderne

Ob stehend, sitzend, kniend, liegend mit gestreckten oder gebeugten Beinen und Armen, im Atelier oder im Freien, als ruhendes Modell oder in einer Bewegung verwickelt, als Badende oder Tanzende: nackte Frauen und nackte Männer bevölkerten die kreativen Fantasien der Künstler und inspirierten sie zu Zeichnungen, Graphiken, Aquarellen, Gemälden und Plastiken, und auch zu Fotografien. Mädchen, Frauen, Lebensgefährten und Künstlerkollegen standen Modell und es kam zu einer besonderen Form des Aktzeichnens: Die Expressionisten der Künstlergruppe „Brücke“ entwickelten den sogenannten „Viertelstunden-Akt“, was die Darstellungsweise prägte und revolutionierte.

Nicht mehr stundenlanges Verharren in einer Position, sondern maximal eben 15 Minuten Stillhalten, sodass die Künstler in wenigen, prägnanten Strichen und Linien die Umrisse auf dem Papier festhalten mussten. Dies führte zu einer raschen Arbeitsweise und zu einer skizzenhaften Darstellung. Details konnten nicht mehr ausgearbeitet werden, Schattierungen wurden durch eine „nervöse“ Zick-Zack-Schraffur ersetzt. Graphische und farbliche Ausarbeitung wurde ins Atelier verlagert und später aus dem Gedächtnis vervollständigt.

Die Künstler um Ernst Ludwig Kirchner herum und der Meister selbst erhoben die „Badenden“, also Aktdarstellungen im Freien, zu einem der beliebtesten Themen ihrer Kunst und machten von Dresden aus regelmässige Ausflüge zu den benachbarten Moritzburger Teichen, später von Berlin aus auf die Insel Fehmarn mit ihren typischen runden Steinen am Strand, woran sich die Lebensgefährtinnen und Freundinnen lehnten oder sich darauf setzen. Das Bild des Menschen in der freien Natur sollte Kirchner zeitlebens begleiten, denn auch nach seiner Übersiedlung nach Davos fertigte der Künstler in allen ihm zu Verfügung stehenden Techniken Bilder von nackten Frauen am Bach und im Wald.

 

Kirchner, Heckel, Mueller, Schmidt-Rottluff und andere

Vorbilder dabei waren den Künstlern sicherlich die berühmten „Badenden“ von Cézanne und die Werke von Gauguin und den Fauves in Frankreich. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts verbreitete sich die sogenannte „Lebensreform“-Bewegung auch in Deutschland, die für gesunde Nahrung und Kleidung, sowie für den gesundheitsfördernden Aufenthalt und körperliche Ertüchtigung in der freien Natur warb, was sich stark auf die Arbeitsweise der Künstler auswirkte. Damit wandten sie sich völlig von den gängigen akademischen Vorstellungen ab und wählten eine freie Welt für freie Künstler und freie Modelle. Sie entschieden sich für die Freikörperkultur, die sie in jedmöglicher Facette auf Papier, Leinwand und als Plastik festgehalten haben.

Kirchner ist diesem Themenkreis zeit seines Lebens treu geblieben und hat auch später in Davos immer und immer wieder seine Lebensgefährtin Erna sowie Freundinnen, die zu Besuch kamen, einzeln oder miteinander nackt in der freien Natur und im Innenraum dargestellt und fotografiert. Zwei wichtige Gemälde und zahlreiche Zeichnungen, Graphiken und Aquarelle aus allen Schaffensperioden zeugen in der Ausstellung „Der Akt in der Moderne“ von dieser künstlerischen Vorliebe.

Aber auch Erich Heckel, Otto Mueller, Emil Nolde, Hermann Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff werden mit einigen herausragenden Beispielen dieser Gattung vertreten sein sowie eine wunderschöne Plastik des „Kirchner-Schülers“ Hermann Scherer. Um das Ganze abzurunden und auch einen Ausblick über die „Brücke“-Künstler hinaus auf das Davor und das Danach zu ermöglichen, umfasst die Ausstellung noch ein beeindruckendes Werk von Odilon Redon aus dem Jahr 1910 und für die Nachfolge Werke von Theo Eble, George Grosz, Karl Hartung, Berthold Müller-Oerlinghausen und Christian Rohlfs.
(Alexandra Henze Triebold im Ausstellungskatalog)

Noch bis 23. April zu sehen ist diese hochkarätige und liebevoll zusammengestellte Ausstellung der Galerie Henze & Ketterer & Triebold bei Basel in der Schweiz, in der Wettsteinstrasse 4, CH 4125 Riehen. Nähere Informationen erfahren Sie unter Tel. +41 (0)61 641 77 77.

Zurück