Doping für Hirn und Herz

04.09.2011 14:00

Valeria Myrusso - Maritime Sculpture

Das Betrachten von künstlerischen Meisterwerken kann das gleiche Wohlbefinden wie Verliebtheit auslösen. Wissenschaftler der Universität London fanden in einer Studie heraus, dass Kunst den selben Bereich im Gehirn stimuliert, der auch beim Verliebtsein aktiviert wird. Verantwortlich für das "gute Gefühl" sei in beiden Fällen die Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin. Keine Frage für Kunstliebende wie uns, dass der Anblick einer romantischen Landschaft von Caspar David Friedrich, der Mona Lisa oder eines anderen Klassikers, uns verführen und verzaubern kann, wie der Anblick oder die Gegenwart einer attraktiven und reizenden Person. Im Zusammenhang mit Moderner Kunst sollte die tatsächliche neurologische Verwandschaftsbeziehung zwischen Kunst und Verliebtheit allerdings immer noch mal tiefer gehend analysiert werden, denn ist der Drang der Kunst nicht mehr ungebrochen durch Authentizität und Naturanschuung, sondern zerborsten in Techniken, Ideologien und Uneigentlichkeiten, dann leidet und verkümmert darin auch der Eros einer Kunst, die den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Kunstbetrachtung stellt.

 

"Mit den Ergebnisse der Studie lässt sich das Wohlbefinden und die mentale Gesundheit der Bevölkerung verbessern", so der Leiter der Studie, der bekannte Neurobiologe Semir Zeki, der über die neurologischen Aspekte von Kunst und Ästhetik forscht. So könne man die psychische Situation der Patienten im Krankenhaus verbessern und die Heilung beschleunigen. Kunsttherapeutische Ansätze könnten jetzt noch konkreter im Rahmen einer medizinischen Kur die Wunde zu schließen helfen, die durch das Problem mangelnder Liebe, Hinwendung und Empathie gegenüber Patienten vor allem im institutionalisierten Gesundheitswesen immer wieder aufklafft. Inwieweit sich durch diese, im Nachklang gar nicht mal so überraschende Studie auch neue Erkenntnisse für das Phänomen der Übertragung (von Liebe) in psychoanalytischen Kuren ziehen lassen, müssten weitere Studien untersuchen, die zeigen, ob die Kunstbetrachtung auch ähnlich emotionale und affektive Zustände, sprich Verrücktheiten hervor rufen kann wie die Verliebtheit.

Dass Kunst in Krankenhäusern an dern Wänden hängt, ist mittlerweile nichts neues, zumindest in Deutschland. Wie es in England aussieht, weiß ich nicht. Und dass Licht, Farbe und Erkenntnis die Heilungsprozesse positiv beeinflusst, sollte eigentlich Bestandteil von moderner Sozialarchitektur sein. Wenn es jedoch aus der Erkenntnis der gesundheitsfördernden Relevanz von Liebe und Erotik dazu käme, dass die Kunst der nackten und liebreizenden Menschen bald Einzug in die Arztpraxen und Kliniken des Landes halten würde, würde das die Attraktivität solcher Einrichtungen sicherlich immens erhöhen. Immerhin sah ich neulich im Flure des Siloah-Krankenhauses in Hannover einen Kunstdruck von Picassos "Blauer Rückenakt", einem bekannten, ruhigen und sanften Werk der erotischen Kunst.

Wahrscheinlich würden es viele Leute jedoch auch als zynisch oder sarkastisch empfinden, ausgerechnet erotische oder sinnliche Kunst im Angesicht von Krankheit, Trübsal und Leid zu präsentieren. Der Galerie Liebreiz jedoch würde es natürlich gefallen, mit ihren anmutigen, feinsinnigen und zarten Musen und Modellen auch in Praxen und Kurhotels vertreten zu sein und damit für eine liebevolle Atmosphäre zu sorgen. Da ist die Esoterik und Wellness-Szene schon viel weiter als die Schulmedizin und hat den Faktor der Liebe (noch mehr als den der Kunst), weit selbstverständlicher integriert, als die Durchschnittsgesellschaft, in der die Kunst in die Museen gehört, die Verliebtheit in die Parks und Krankheit und Leid in die Kliniken und Heime.

Ob es durch das Betrachten von erotischer Kunst (Kunst und Verliebtheit in eins) sogar zu einer doppelten Ausschüttung von Dopamin kommen könnte, scheint uns Kunstliebhabern aber nicht unbedingt wünschenswert. Schließlich würde für uns Kunst als Affektauslöser von Masturbation oder Onanie doch eher die Grenze, das Limit, bedeuten gegenüber der Pornografie. Ob pornografische Darstellungen wiederum zu einer ähnlichen Dopaminausschüttung führen könnten wie die Verliebtheit, müsste eine entsprechende Studie zeigen, denn unbestreitbar spielt das eigentliche "Glückshormon" Dopamin (wohingegen das Glückhormon im Volksmund, Serotonin, eher Auswirkungen auf unsere Stimmungs- und Gemütslage hat), Dopamin die Hauptrolle, wenn es um die Facetten der Aufmerksamkeit, der Hingabe, des Genießens und der Wunscherfüllung geht.

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