Friedrich Schröder-Sonnenstern: Dreifacher Weltmeister aller Künste

30.12.2015 17:07

Schröder-Sonnenstern - Angst vor dem Weibe

Welch eine Fantasie: Da flüchtet der geflügelte Pegasus auf dem Pferd vor dem Weibe, doch das hängt sich an den Pferdeschweif und lässt sich durch die Wüste ziehen. Der „Mondmoralische Eselstreiber“ füttert mit der linken Hand den devoten Esel, mit der rechten hält er aufrecht die Peitsche. Und noch eine Kostprobe der Werke von Friedrich Schröder-Sonnenstern, die im Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach präsentiert werden: Im „Schwanenpuppentanz“ flieht eine schwanenfüßige Nackte in das mit Furcht erregenden Säbelzähnen bewehrte Maul eines Drachen, verfolgt von einem grinsenden Sensenmann.

 


Friedrich Schröder-Sonnenstern (1892 Kaukehmen bei Tilsit – 1982 Berlin) gehört nicht nur aufgrund seiner Biografie, sondern auch durch seine phantasievolle Formensprache, seine Symbolik, die doppeldeutige Dichtung und die schrill-plakativen Bildwelten zu den spektakulären und umstrittenen Phänomenen der deutschen Nachkriegskunst.

Die erotischen und (alp)traumhaften Bilderfindungen dieses genialen Einzelgängers irritierten und begeisterten Sammler und Kunstkritik. Auch Künstler wie Hans Bellmer, Jean Dubuffet oder Friedensreich Hundertwasser waren von seiner Bildwelt fasziniert und fühlten sich zum Teil zu künstlerischen Antworten herausgefordert. Die von Dubuffet begründete Kunstrichtung des 'Art Brut' fand in ihm einen ihrer herausragenden Vertreter, neben den wenigen, bekannt gewordenen, kongenialen Künstlern wie Adolf Wölfli, Blalla W. Hallmann, der Algerierin Baya, oder Aloise Corbaz.

Später etablierte sich für diese oft bizarren und bunten Bildwelten aus naiven, infantilen, symbolischen und fantastischen Elementen, oft aus Alltagsmaterialien und fern jeglicher akademischer Präferenz hergestellt, auch der Name 'Outsider Kunst'. Im Zuge der westlichen  Kulturrevolution der 60er-Jahre, als auch durch Bewegungen wie SPK, das Sozialistische Patienten Kollektiv, oder die Antipsychiatrie-Bewegung, entwickelte sich ein erneut starkes Interesse an einer ursprünglichenm freien (Lebens-)Kunst fern des Kunstmarktes. Hier entstammt auch die Bezeichnung 'Irren-Kunst', die das berühmte Buch des Psychiaters Hans Prinzhorn, "Bildnerei der Geisteskranken" von 1925 wiederentdeckte, mit faszinierenden Arbeiten und Werken von zumeist psychiatrischen Patienten und Einzelgängern. Die Sammlung Prinzhorn als größte Übersicht über die Kunst der Irren und Outsider, deren Besuch für viele Künstler bis heute ein Muss ist, ist heutzutage übrigens im Universitätsklinikum Heidelberg ansässig.

Durch seine Eigenwilligkeit und Unangepasstheit sind sowohl seine Vita als auch sein Werk schillernd, ungewöhnlich und abgründig. Schröder-Sonnensterns Laufbahn verlief bis zu seiner Entdeckung Ende der Fünfziger eher kläglich: Als einem von dreizehn Geschwistern drohte ihm früh die Erziehungsanstalt, seine Lehren brach er ab, daraufhin folgte Landstreicherei, Arbeit als Zirkusclown, Auftritte als Wahrsager und Okkultist, Aufenthalt im Gefängnis, Einweisungen in die Irrenanstalt sowie zwei schizophrene Schübe. Nach den, auch für ihn chaotischen Wirren des Krieges fing er ab 1949 intensiv mit Zeichnen an. Als Fünfzigjähriger dann seine Entdeckung der Kunst: Plötzlich brachen sie alle aus ihm heraus, die erotischen und albtraumhaften Gestalten mit Propheten, Magiern, Dämonen, Kindern, Hexen und Engeln. Kindliches Urvertrauen geht einher mit finstersten Abgründen, Spottlust und erotischen Anspielungen. Manchmal geben auf der Rückseite Texte Einblick in seine versponnene Gedankenwelt.

Die Surrealismus-Exposition in Paris 1959 feierte ihn als den beeindruckendsten Künstler des 20. Jahrhunderts, international aufsehenerregende Ausstellungen folgten. Schröder-Sonnenstern zählte ab Anfang der 1970er Jahre zur Künstlergruppe der Berliner Malerpoeten. Er kam den Aufträgen nicht mehr nach, ließ von Gehilfen seine Bilder ausmalen und führte Details, Feinarbeiten und Korrekturen eigenhändig aus - bis die Gehilfen, teilweise angeregt und beauftragt von Galeristen und Händlern, auf vorsignierten Kartons Schröder-Sonnenstern-Motive kopierten, ausmalten, verkauften und ihn schließlich zum Opfer von Fälschercliquen degradierten. Als dies bekannt wurde, ließ ihn der Kunstmarkt konsequent fallen. Seriöse Galeristen und Sammler wendeten sich von ihm ab, er zog sich komplett zurück und starb, fast vergessen und verarmt, 1982 in Berlin.

Erst mit der 55. Biennale in Venedig 2013 ist das Werk von „Friedrich, dem Einzigen“ wieder ins Bewusstsein der Kunstöffentlichkeit gerückt, so dass die Zeit reif scheint für eine erneute Würdigung dieses spektakulären Künstlers, der sexualmagische und okkulte Praktiken mit düsteren Vorahnungen und beißender Gesellschaftskritik mischte, in bezaubernden und lustvollen Bildern.

Die absolut sehenswerte Ausstellung "Friedrich Schröder-Sonnenstern. Der dreifache Weltmeister aller Künste und seine Werkstatt", läuft noch bis zum 13.03.2016 im Kunstmuseum Villa Zanders in 51465 Bergisch Gladbach. Näherer Informationen unter: www.villa-zanders.de


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