Die Geschichte des Koitus in der Kunst

02.03.2017 17:44

Ernst Stöhr - Vampir (1899)

Schon aus vorgeschichtlicher Zeit sind menschliche Darstellungen mit sexuellen Motiven auf der ganzen Welt zu finden. Skulpturen wie die Venus von Willendorf und Wandbilder wie in den Höhlen von Lascaux sind bekannte Zeugnisse in Europa. Für die Anthropologie haben diese frühen erotischen Artefakte eine Bedeutung vor allem im Zusammenhang mit kultischen Fruchtbarkeits-Riten. Archäologen fanden in Deutschland im August 2003 eine 7.200 Jahre alte Szene aus Ton, die eine männliche Figur zeigt, die sich wie beim Koitus über eine weibliche Figur beugt. Die männliche Figur bezeichneten die Archäologen als „Adonis von Zschernitz“. Dieser sächsische Erot scheint der bislang älteste Urahn vom Prototyp eines freisinnigen, stolzen, lüsternen Verführers und Beglückers der Frauen zu sein, wie er fortan unter verschiedenen Namen als: Pan, Faunus, Satyr, Amor, Don Juan oder Casanova seinen Weg durch die Kunst- und Kulturgeschichte nehmen wird.

 

Die polymorph-perverse Erotik der Antike

In der Frühzeit hat die Erotik, zumindest nach Auffassung der  Archäologen, welche ihre Kenntnisse aus verwitterten Funden oder spärlichen, frühen Schriftzeugnissen abstrahieren, welche erhalten geblieben sind, wohl keine wesentliche und herausragende Bedeutung gehabt. Die frühesten Zeugnisse der erotischen Kunst beschränken sich meist auf den mythologischen Bereich (z.B. in der Papyrussammlung). Gleiches gilt für die Inkunabeln und die abendländischen Handschriften.

Die antike Erotik dagegem zeigt bereits das ganze Spektrum menschlicher Erotik, von hetero- über homosexuelle bis hin zu sadomasochistischen Inhalten. Sie spiegelt sich im antiken Mythos und den Kulten wider. Aus der römischen Antike sind Darstellungen sowohl männlicher als auch weiblicher Körper als Objekte des sexuellen Begehrens sowie des Sexualakts bekannt. Es war durchaus üblich, die Wände der Schlafräume mit Darstellungen sexuellen Inhalts zu dekorieren und Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens mit entsprechenden Abbildungen zu schmücken. Eine Einschränkung des Zugangs zu diesen Abbildungen oder eine Unterscheidung zwischen Kunst und Pornografie wurde nach dem aktuellen Forschungsstand nicht vorgenommen.

Die Griechen stellten oftmals sexuelle Szenen auf Keramikwaren dar, von denen viele als früheste Darstellungen von Homosexualität und Päderastie bekannt sind. Die griechische Kunst porträtiert häufig sexuelle Aktivität, jedoch war den Griechen das Konzept der Pornographie unbekannt, so dass eine Einschätzung, welche Darstellungen illegal oder unmoralisch waren, unmöglich ist. Ihre Kunst reflektiert Szenen aus dem täglichen Leben, von denen manche sexueller Natur sind. Geschnitzte Phalli finden sich an Plätzen der Verehrung wie dem Tempel des Dionysos auf Delos, während die Herme, eine Statue bestehend aus einem Kopf auf einem quadratischen Sockel mit einem prominenten Phallus an der Vorderseite, ein üblicher Haushaltsgegenstand und Talisman war. Das griechische männliche Ideal hatte einen kleinen Penis; eine Ästhetik, die die Römer später übernahmen sollten. Mit Sapphos Hymne an Aphrodite und anderen homoerotischen Werken schufen die Griechen auch die ersten bekannten Beispiele für lesbische Erotik in der westlichen Welt.


Lockere Sexualmoral vor allem für die freien Männer

In der griechischen Antike herrschte eine eher lockere Sexualmoral, jedenfalls für die freien Männer der Bürgerschaft. Der Mensch ausgestattet mit Vernunft und Leidenschaften war das perfekte Abbild der göttlichen Ordnung und wurde auch in der Kunst mit einem idealen Körper ausgestattet. Die bedeutende Rolle von Sexualität und Erotik lag zudem in den mythologischen und religiösen Ansichten der Antike begründet.

In Pompeji dienten in den Bürgersteig eingravierte Phalli und Hoden als allgemeine Dekoration, aber auch als Wegweiser für Besucher, um diese zum Prostitutions- und Unterhaltungsbezirk zu geleiten. Die Römer hielten sexuelle Abbildungen für geschmackvolle Verzierungen und in der Tat reflektierten die Bilder die sexuelle Moral und Praxis ihrer Kultur. Tabuisierte Sexualakte wie jene, die die Reinheit des Mundes schändeten, zeigte man zur Komik in Thermen. Große Phalli galten als Glücksbringer und standen oft in der Nähe von Eingängen oder befanden sich als Schnitzerei in Häusern. Eines der ersten Objekte, das nach der Entdeckung des Geländes ausgegraben wurde, war eine Marmorstatue, die den Gott Pan beim Sex mit einer Ziege zeigt, eine detaillierte Darstellung der Zoophilie, die aufgrund ihrer Obszönität bis heute nicht öffentlich ausgestellt wird und im Gabinetto Segreto in Neapel bleibt.


Das Mittelalter - Sinnlich, derb und bäuerlich

Erotische Darstellungen aus dem Mittelalter stammen vorwiegend aus dem einfachen Volk und zeugen von einer sehr sinnlichen bäuerlich geprägten Auffassung der Erotik, oft verbunden mit Tätigkeiten und Ereignissen aus dem Alltag (z. B. Szenen aus den damals weit verbreiteten Badehäusern) und in Form von Minnesang (z.B. Walther von der Vogelweide) statt. Erotische Szenen waren auch in der mittelalterlichen Buchmalerei üblich, aber nur für diejenigen gedacht, die sich die sehr teuren handgefertigten Bücher leisten konnten. Erst die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg führte dazu, dass sexuelle Bilder in der westlichen Welt massenweise verbreitet werden konnten. Bis dahin waren sie wegen der nötigen Handarbeit und der resultierenden hohen Kosten nur Männern aus der Oberschicht zugänglich, die die Darstellungen aus Furcht vor der animalischen Lust der Ungebildeten bewusst von der Arbeiterschicht fernhielten.

Erotische Fantasien haben seit jeher den menschlichen Geist beschäftigt. Sie haben sich gegen die Sitten und öffentliche Moral jedweder Zeit behauptet und sich wider jedes Tugendideal durchgesetzt. Dies bezeugen die unzähligen erotischen Gedichte, Bücher, Bilder, Fotografien und Filme aus allen Epochen der Kulturvölker.

Während in der Vorzeit die Darstellung nackter Körper eher ein Ausdruck von Fruchtbarkeit war und die Darstellung von Sexualität nachrangige Bedeutung hatte, konnten sich in der Antike nackte Körper, sexuelle Praktiken bis hin zu Bordellszenen in der Malerei, als Skulpturen und in Form von Gefäßmalereien weithin durchsetzen.Das platonische Verständnis von Erotik kennzeichnet die Vorstellungen damals wie heute. Er ging davon aus, dass seit der Trennung des vormals doppelgeschlechtlichen Menschen durch den Zeus, die Menschen nach alter Vollkommenheit ebenso wie nach dem anderen Geschlecht streben. Ausdruck dessen ist die Erotik, der Wunsch und das Begehren.


Fruchtbarkeit und Sehnsucht nach der anderen Hälfte

Das sexuellen Begehren und das Streben nach sexueller Vereinigung ist ein Grundelement der menschlichen Existenz. So ist es zu bestaunen, aber nicht verwunderlich, wie in allen Kulturen und zu allen Zeiten das zeugende und auf diese Weise fruchtbare Paar Gegenstand der Kunst, der Verehrung, der Reglementierung und der Fantasien ist.

Mythologisch steht das zeugende Paar am Anfang einiger Schöpfungsmythen. Zu nennen ist hier das Götterpaar: Rhea und Kronos oder das germanische Paar Odin und Freya. Die jüdische Tradition und das Alte Testament kennen Adam und Eva. Daneben sind auch Adam und Lilith bekannt, doch damit fängt bereits die Spaltungsgeschichte von Frauengestalten an. Klassisch ist die Geschichte vom Aristophanes, der im Gastmahl über die Liebe von den vierbeinigen Menschenwesen spricht, die wegen ihrer Hybris von Zeus geteilt wurden. Seitdem suche stets der eine Zweibeiner den anderen. So suchen sich in Abhängigkeit vom ursprünglichen Menschenwesen zwei Männer, zwei Frauen oder ein Mann und eine Frau. (Platon, Das Gastmahl)

Generell ist in der Kunst die Gestaltung des Koitus ein beliebtes und zugleich in Abhängigkeit von der jeweiligen Kultur religiös besetztes oder ein tabuisiertes Thema. So finden wir in den indischen hinduistischen Tempelanlagen von Khajuraho aus dem 9. bis 12. Jahrhundert eine hochentwickelte erotische Darstellung von Frauen, Männern und Paaren in vollzogener Kopulation. All dies ist als Verehrung der hinduistischen Gottheiten und der Fruchtbarkeit zu verstehen. Wird das Thema verboten, dann blüht es im Geheimen. "Sexualität drängt nach koitalem Vollzug und entzieht sich folgerichtig allen veränderlichen moralischen Kriterien. (Thomas Geerdes, "Faszination der Lust")


Asiatische Traditionen erotischer Kunst

In Ostasien gibt es eine lange Tradition der erotischen Malerei. Japan, China, Indien, Persien und andere Länder produzierten Unmengen von Kunst, die die menschliche Fähigkeit der Liebe zelebrierte. Die Arbeiten zeigen die Liebe zwischen Mann und Frau ebenso wie die gleichgeschlechtliche Liebe. In Japan florierte die erotische Kunst vor allem im Holztafeldruck. Der Stil ist als Shunga (Bilder des Frühlings) bekannt und einige klassische Künstler wie Suzuki Harunobu oder Utamaro schufen zahlreiche Werke. Gezeichnete Handschriftrollen waren ebenfalls sehr populär. Shunga entstand im 13. Jahrhundert und erfreute sich trotz einiger Versuche, sie zu unterdrücken, zunehmender Beliebtheit. Ein erstes Verbot erotischer Bücher (koshokubon) wurde von der Shogun-Dynastie Tokugawa in Kyoho 7 (1722) ausgesprochen. Die Produktion von Shunga endete erst im 19. Jahrhundert mit der Erfindung der Fotografie.
 
Die ebenfalls sehr umfassende chinesische Tradition reicht bis in die Yuan-Dynastie (1271–1368) zurück und erreichte ihren Höhepunkt im letzten Teil der Ming-Dynastie (1368–1644).Es gibt viele gute Gründe für die Annahme, daß die Chinesen das Tao der Sexualität extensiv praktizier­ten, d. h. innerhalb der Grenzen der zeitgenössischen Sexualnormen und der herrschenden Ehegesetze. Viele Dichter und Gelehrte der Tang- und Song- Dynastie (618 - 1279 n.Chr.) äußerten sich sehr offen über ihr Sexualleben. Sie waren stolz darauf, Prostituierten gegenüber Nachsicht und Freundschaft zu üben oder mit ihnen zusammenzuleben. In den erotischen Bildern der Yuan- und Ming-Dynastie (1271 - 1644 n. Chr.) werden viele sexuelle Techniken dar­gestellt, die im „Su-Nui-Jing" beschrieben sind, einschließlich des Oralverkehrs, erotische Schaukeln, Masturbation, Liebesspiele zu dritt oder viert und andere exotische sexuelle Praktiken (Van Gulik 1951, Douglas & Slinger 1979).


Natürlichkeit, Anstand und Sitte

Da der Taoismus Sexualität als Teil der Natur und als Abbild des Zusammen­wirkens der Kräfte des Universums betrachtet, zeigen viele Bilder sexuelle Aktivitäten im Freien. Auf einigen Bildern sind Eltern zu sehen, deren Kind neben dem Bett spielt, während sie Geschlechtsverkehr haben. Diese Szenen erwecken viel eher den Eindruck eines glücklichen, entspannten Familienlebens als eines pornographischen, abartigen oder sündhaften Pfuhl.

Sowohl in China als auch in Japan spielte die Erotik eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Romanliteratur. Genji Monogatari, das Werk einer japanischen Adligen aus der Heian-Zeit, das oft als „erster Roman der Welt“ bezeichnet wird, verfolgt die vielen Affären des Helden in diskreter, aber körperlicher Sprache. Der noch explizitere Roman Jin Ping Mei aus der Ming-Dynastie gilt als einer der vier großen klassischen Romane der chinesischen Literatur. Genji Monogatari wird seit seiner Entstehung in Japan gefeiert, während Jin Ping Mei lange Zeit als Pornografie unterdrückt und auf der Klassiker-Liste ersetzt wurde.


Nackt, fügsam und friedlich erschienen Kolumbus die Indianer

Christoph Kolumbus – Cristofero Colombo -, der Entdecker Amerikas, berichtete in seinen ersten Aufzeichnungen an seine Auftraggeber, den König und die Königin von Spanien, Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon: “So fügsam und so friedlich sind die Menschen, daß ich Euren Majestäten schwöre, es gibt auf der Welt kein besseres Volk und ob zwar sie nackt sind, ist ihr Betragen dennoch anständig und lobenswert.”

Die Spanier erkannten nicht, daß religiöse Riten nackt ausgeführt wurden, weil Nacktheit von den Einheimischen als Symbol von Gottähnlichkeit oder göttlicher Ausstrahlung, als Reinheit vor einer Gottheit verstanden wurde. Bei Fruchtbarkeitsriten traten Männer und Frauen paarweise auch nackt oder teilweise bekleidet in Erscheinung.

Die nackte indianische Frau verkörperte das Idol der Fortpflanzung, und sie war identisch mit dem mythischen Schöpfungsakt. Sie schenkte der Gemeinschaft neues Leben und sicherte den Fortbestand des jeweiligen Volkes.


Der Koitus als göttliche Offenbarung

Die sexuellen, moralischen Verhaltensweisen der indigenen Menschen sind und waren ein Teil der universalen menschlichen Veranlagung. Die alten Kulturen Amerikas sahen – wie die alten Griechen – im Koitus eine göttliche Offenbarung, einen Fruchtbarkeitsritus ohne moralische oder sexuelle Aspekte. Die christliche Vorstellung, eine Beschreibung oder Darstellung der geschlechtlichen Vereinigung sei verwerflich, war ihnen fremd. m Weltbild der alten Völker Mittel- und Südamerikas hatten die sexuellen Triebkräfte – dargestellt durch nackte Gottheiten, im mythischen Koitus in der schriftlichen Fixierung, in Keramiken und in Stein – aggressionsablenkende, religiöse, sakrale und magische Funktionen, während im europäischen Kulturbereich nur eine intime, zeugende Funktion existierte. Auch die biologisch intimen Beziehungen zwischen den Geschlechtern und der Geschlechtsakt überhaupt besaßen in der indianischen Vorstellungswelt einen tieferen religiös sanktionierten Sinn und zelebrierten das fortlaufende Leben durch Neuzeugung.

Bei den Yanomami in Nordwestbrasilien koitierten Mann und Frau (nicht unbedingt Eheleute) auf der entdeckten Fährte eines Jagdtieres, da sich die Dreiteilung Leben – Tod – Wiederkehr symbolisch in der Vagina der Frau vollzog. Schwoll der Penis nach der Ejakulation ab, erneuerte sich  nach Vorstellung der Indianer gleichzeitig eine menschliche, tierische und pflanzliche Seele, da sich der Jäger beim Geschlechtsakt mit dem aufgespürten Tier identifizierte und dazu beitrug, daß dessen Seele zurückkehrte.


Lingam und Yoni, Phallus und Vulva

Die häufig dargestellten primären männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmale Phallus und Vulva an Tempeln, auf Stelen und in Götterbildern sollen auf die Betrachter magisch, nicht erotisierend und gar nicht moralisierend wirken, denn sie sind im alten Amerika eine biologische Manifestation gemäß der Vorstellung, daß die Natur und der Mensch von einer göttlichen Fruchtbarkeitskraft durchströmt werden.

Bei Grabbeigaben in Form von Kopulationsdarstellungen oder Fruchtbarkeitsidolen in Form des erigierten Penis und weiblichen Figuren mit akzentuierten Geschlechtsteilen dürfte der Gedanke an eine Wiedergeburt des Toten und an seinen beschwerlichen Weg in das Totenreich ein Rolle gespielt haben. Eine extravaginale Kopulation (Koitus per anum) in Ton bei der Mochica-Kultur in Peru zeigte sicher eine Ersatzbefriedigung während der dreijährigen Stillzeit eines Kindes, da nach Vorstellung der Mochica der Samen des Mannes der Muttermilch schadete. Im Museo Larco Herrera in Lima/Peru, dem größten Privatmuseum altpemanischer Keramik (55.000 Objekte), sind Hunderte von Keramiken mit sexuellen und erotischen Darstellungen der Mochica-, Nazca-und Vicuskultur der Öffentlichkeit zugänglich.

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