Lust und Last im Nationalmuseum Stockholm

27.05.2011 13:12

J.T. Sergel - Love and Babysitting

Die bislang größte schwedische Ausstellung zur erotischen Kunst zeigt unter dem Titel "Lust & Vice (Lust & Last)", wie sich die Ansichten über Sexualität, Tugend und Sünde in der Kunst sowie der Kunstgeschichte seit 1500 bis heute gewandelt haben. Wie haben sich die Grenzen für das, was als unmoralisch gilt, seit dem Mittelalter verschoben?, fragen die Ausstellungsmacher unter der Ägide der Kuratorin Eva-Lena Bergström. Und wo kann und muss aus heutiger Sicht die Historie der erotischen Kunst neu interpretiert werden? "Kommen Sie um Ihre eigenen Grenzen zu prüfen!" lautet dem gemäß der Slogan des Nationalmuseums zur Ausstellung. Dass sich für uns aufgeklärte Europäer dagegen wenig wirkliche Grenzerfahrungen oder -überschreitungen zeigen, liegt nicht zuletzt am Kontext dieser Ausstellung, der explizit Moral und Sitte in den Vordergrund der erotischen Betrachtungen rückt.

 

Die Ausstellung "Lust und Last" will vor allem Beispiele aufzeigen, wie sich die Ansichten über Sexualität, Tugend und Sünde in der Kunst seit dem 16. Jahrhundert bis heute verändert haben. Von einer Zeit, in der die Kirche predigte, dass sexueller Kontakt nur innerhalb der heiligen Ehe erlaubt sei, bis hin zur modernen Fragestellung, für wen eigentlich die erotische Kunst gemacht wird, dreht sich das Themenkarussel der Ausstellung. Insgesamt 200 Arbeiten, zumeist aus der eigenen Sammlung des Museums, zeigen einen Mix aus Malerei, Zeichnungen, Skulpturen und den angewandten (also handwerklichen) Künsten. Darunter zu sehen gibt es, wie die Ausstellungsmacher stolz schreiben, einen original Keuschheitsgürtel, der sicherlich nicht wenige Besucher und Besucherinnen ob seiner Funktion und Gestaltung faszinieren wird.

Der Ausstellungsbesucher und die Besucherin werden zuerst mit dem Begriff der Tugend konfrontiert. Um zum ersten Saal der Ausstellung auf der zweiten Etage des stattlichen Nationalmuseumsgebäudes zu gelangen, muss man erst einmal an staatstragenden Gemälden von Carl Larsson und Gustaf Cederström vorbeiziehen. Dann warten auf das Auge der heutigen Betrachter doch recht unschuldig wirkende Gemälde aus dem 16. und 17. Jahrhundert, konfrontiert mit einem riesigen Poster eines weiblichen Hintern der Neuzeit. Trotz des roten Ambientes wirkt das Ganze immer noch sehr keusch und wenig provozierend – was auch die Absicht der Aussteller ist. Eva-Lena Bergström versichert: „Unsere Ausstellung ist weder Sensationsmache noch Porno. Wir wollen zeigen, wie sich die Einstellung zu Nacktheit und die Grenzen der Moral über die Jahrhunderte verändert haben. Und dadurch wollen wir ein tieferes Verständnis für diese musealen Ausstellungsgegenstände, die wir hier sehen, schaffen.“

Eines der Themenbereiche, in welche sich die Ausstellung gliedert, heißt "Naked Bottoms". Wie der Titel andeutet, werden hier vor allem Bilder gezeigt, auf denen uns Frauen ihren schönen Hintern zeigen. In der Historie wurden solcherlei Abbildungen als besonders 'sündig' betrachtet, da im "normalen Verkehr" zwischen Mann und Frau der Augenkontakt als selbstverständlich angesehen wurde, und der Verkehr von hinten als etwas angesehen wurde, was nur Tiere praktizieren. Dem entsprechend wurde Geschlechtsverkehr von hinten (ganz zu schweigen von Analverkehr) als Akt der Sodomie geahndet. In diesem Zusammenhang können die Zuschauer auch eine Serie von grobschlächtigen, skurrilen, sexuellen Zeichnungen bewundern, die aus einer privaten Korrespondenz zwischen Johan Tobias Sergel und Karl August Ehrensvärd stammen. Diese extrem privaten Ergüsse sind aufgrund ihres expliziten Charakters (und der Karikaturen von König Gustav III.) bis heute öffentlich noch nicht zu sehen gewesen.

Wie der Themenbereich "Moralische Panik" zeigt, sind biblische und mythologische Themen oftmals für die Künstler der Anlass gewesen, wenigstens ein bisschen Nacktheit zu zeigen. Gleichzeitig waren solche Bilder oft moralisierende Beschreibungen der Konsequenzen, welche sich aus einem sündigen Leben zwangsläufig ergeben würden. Dieser moralische Unterton verhalf jenen Gemälden und Zeichnungen aber auch zu einer reinen, unschuldigen sowie erhaben und virtuos dargestellten Nacktheit. Im 19. Jahrhundert gründete dann viel moralische Empörungen und Erregung in den Präsentationen der damals entstandenen Museen, welche sich darauf hin gezwungen sahen, die antike Nacktheit der ausgestellten Werke, besonders die Geschlechtsteile der Männer, mit extra Feigenblättern zu verdecken und zu kaschieren, um die Sittlichkeit der Darstellungen zu gewährleisten.

"Wer hat das Recht zu gucken?" fragt ein weiterer Themenbereich. Die erotische Kunst ist schon immer vorhanden gewesen, obgleich die "richtig dreckigen Sachen" einem größeren Publikum vorenthalten blieben. Diese Art der Kunst trat nur in den privaten Räumen von Männern und in den damaligen Herrenclubs auf. Dort entfaltete sich auch immer mehr das künstlerische Spiel mit Voyeurismus, dem Verborgenen, dem flüchtigen Blick und der Koketterie mit den Reizen der verführerischen Frau. In den zeitgenössischen Arbeiten, die in diesem Bereich zu sehen sind, werfen Künstler und Künstlerinnen wie Kristina Jansson, Gisela Schink oder Nilsson Larss die Fragestellung auf, wer eigentlich die erotische Perspektive eignet und dominiert und ob erotische Kunst immer von Männern betrachtet werden muss?

"Eine Ausstellung für jeden?" fragt der Ausstellungskatalog. Die Kuratorin versichert, dass es nicht darum gehen kann, zu entscheiden was richtig oder falsch ist. Denn wir alle haben unsere ureigenen Muster und Interpretationen, was uns Lust macht und was wir für eine Last halten. Es liegt immer beim Betrachter zu entscheiden, wo dessen Grenzen (des guten Geschmacks) liegen. Es gebe aber keinen vernünftigen Grund für Eltern, ihre Kinder von dieser Ausstellung fern zu halten, so die Ausstellungsmacher im absolut kinderfreundlichen Schweden. "Aber seien Sie darauf gefasst, auf die ein oder andere peinliche Frage eingehen zu müssen", so noch der pädagogisch gut gemeinte Hinweis an besorgte Eltern.

"Lust und Last" im Schwedischen Nationalmuseum gibt es noch zu sehen bis 14. August 2011.

 

Nationalmuseum Stockholm

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