Maler, Muse und Moral

29.02.2012 17:09

Arno Rink - Maler und Modell

Ähnlich wie bei heutigen Promis und Starlets bildete die Beziehung zwischen einem Maler und seinem Modell schon damals bei Hofe eine willkommende Grundlage für moralische Empörung und voyeuristische Neugier eines Skandale schon immer gerne goutierenden Publikums. Hatten Genies aus dem Schoße des einfachen Volkes wie Carravaggio, nach ihrem Bekanntwerden, mit ihren exzessiven Neigungen, eine gewisse Narrenfreiheit oder erfuhren Schutz von mächtigen Gönnern, stellten sich aber die wenigsten berühmten Künstler in Barock und Renaissance gegen Anstand und Sitte und die herrschende Moral. Die Phantasien zur Caravaggio-Legende haben nicht zuletzt dessen Modelle beflügelt, androgyne Jünglinge und stadtbekannte Dirnen, die als Indizien für Caravaggios Hang zur Homo- und Bisexualität herangezogen wurden. Die Schwierigkeiten von Künstlern, geeignete Modelle für ihre Werke zu finden, haben immer schon zu den seltsamsten Arrrangements und Stilblüten geführt.

 

Bei Rembrandts Bildern mit seinem Modell Saskia bewegt man sich dagegen auf sittlichem Grund, denn sie war seine Frau. Ebenso bei Rubens, der seine zweite Frau Helene Fourment mal im Hochzeitskleid, mal als Akt im "Pelzchen" malte. Die Geschichten um Künstlerschicksale, Leidenschaften und Hochzeiten, wenn aus dem Modell dann die Malerfrau wurde, sind letzlich eher die Regel als die Ausnahme. Charlotte Behrend-Corinth, zuerst Malschülerin, dann Modell, dann Frau des Impressionisten Lovis Corinth ist da nur eines von zahlreichen Beispielen. Gaia, Muse und Lebenspartnerin von Salvatore Dali, ein anderes.

Die Grenzen von Moral und Konvention, an die ein Künstler früher gestoßen ist, lässt sich bei Edouard Manet ablesen. Berthe Morisot, eine Frau aus gut bürgerlichen Kreisen, die später seinen Bruder Eugene heiratete, zuvor aber Malerin werden wollte - und wurde -, war mehrfach sein Modell und, man denke an die eigenartige Stimmung der Bilder, seine Muse. Auch Eva Gonzales, seine einzige Malschülerin, saß in seinem Atelier. Beide Frauen waren jedoch stets sittsam bekleidet. Für seine Akte verpflichtete Manet dagegen professionelle Modelle, wie Victorine Louise Meurent, die er als "Olympia" oder beim "Frühstück im Freien" malte - auf den Skandalbildern der Pariser Salons von 1863 und 1865.

"Das Kunstwerk speist sich aus dem Begehren des Künstlers, aus der Sehnsucht nach dem anderen, nach dem Modell, der nackten Frau, die vor ihm posiert, und aus der narzißtischen Sehnsucht nach sich selbst. Der schöpferische Akt ist zutiefst ein Liebesakt. Die Malerei und die Skulptur bestehen aus erogenen Zonen, aus taktilem Material. In ihrem Wesen nehmen sie menschliche Form an. Sie sind eine Art Fetisch, sie dienen zugleich als Ersatz und Transportrmittel für die körperlichen Projektionen. Sie entstehen aus dem Geist und aus dem Körper ihres Schöpfers und machen sich selbstständig, um sich als Vermittler des Genusses dem Betrachter darzubieten." (France Borel - "Das Modell")

Die Ausstellung „Der Blick auf Fränzi und Marcella“, die zum Jahreswechsel 2010/2011 im Sprengel Museum Hannover gezeigt wurde, erforschte die Spuren einiger Mädchen-Modelle der Brücke-Maler Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Max Pechstein, die diese auf Skizzen, Aquarellen und Ölbildern in den Jahren 1909 und 1910 in ihren Dresdener Ateliers verewigten. Eines dieser Mädchen war noch ganz Kind, ein anderes schon etwas älter, weiblicher, nicht mehr ganz so kindlich. Die Mädchen machen Kopfstand, dösen auf dem Sofa oder sitzen da, die Knie unterm Kinn. Mal tanzen sie, spielen mit einer Puppe oder kauern gedankenverloren auf dem Boden. Für ihre schnellen aber ausdrucksstarken Maletüden verzichteten die Brücke-Künstler auf Berufsmodelle. Unbekümmertheit, unverbildete Natürlichkeit fanden sie in einfachen Kindern aus der Nachbarschaft, die sie dann mit wenigen Strichen und Tupfern porträtierten.

Was wäre die moderne Kunst ohne Picasso? Und was wäre Picasso ohne die Frauen? Sie waren nie nur Gefährtin oder Liebhaberin, sondern immer auch Musen und Modelle. Beziehungen, die ebenso fruchtbar wie schmerzhaft waren. „Göttinnen oder Fußabtreter“ – so teilte Picasso einmal seine Frauen ein. Keine dauerhafte Charakterisierung, aus einer Göttin konnte auch sehr schnell ein Fußabtreter werden. Doch ob Göttin oder Fußabtreter, alle wurden sie auf Leinwand, in Zeichnungen oder Skulpturen unsterblich. In seinen Gemälden bringt Picasso die verschiedensten Charaktereigenschaften seiner Frauen zum Ausdruck. Sie werden mal sinnlich oder prüde, temperamentvoll oder melancholisch dargestellt. Durch die Augen Picassos nehmen diese Frauen einen aktiven Part in seinem künstlerischen Werdegang ein. Und oft blieb dieser Einfluss auf das Leben und Werk eines genialen Künstlers der einzige Trost für die vielen verletzten Frauen in seinem Leben. Eine Leidenschaft, die Picasso bis zu seiner letzten Bleistiftskizze als 91-jähriger fesselte. Auf die Frage nach dem Verhältnis zwisch Sex und Kunst antwortete der Maler schlicht: „Das ist dasselbe“.

Rene Magritte schilderte den künstlerischen Prozess zwischen Maler und Modell folgendermaßen: "Ich male unmittelbar vor dem Modell, an ihr selbst, meine Augen sind kaum einen Meter von ihr entfert, und meine Knie können die ihren berühren. Ich habe erst dann den Eindruck, Fortschritte gemacht zu haben, wenn ich feststelle, dass meine Arbeit sich mehr und mehr von der eindeutigen Beeinflussung des Modells entfernt, von der Anwesenheit des Modells, die nicht als Möglichkeit zur Überprüfung ihrer körperlichen Beschaffenheit notwendig ist, sondern um mich in einer bestimmten Gefühlslage zu halten, in einem Zustand des Flirtens, der schließlich mit einer Vergewaltigung endet.(...) Das Modell ist für mich ein Sprungbrett, es ist eine Tür, durch die ich hindurchgehen muss, um in den Garten zu gelangen, in dem ich allein bin und mich wohl fühle, selbst das Modell existiert für mich nur insoweit, wie es mir nützt."

Der Körper der Frau ist heutzutage in der Kunst überall zu finden, erst durch die Schwulenbewegung gewann auch der männliche Körper wieder die Bedeutung, die er im Altertum als Heldenkörper und Körper von Halbgöttern, oder später bei den Nazis als Übermenschenkörper besaß. In jedem Fall ist der erogene und erotische Körper die perfekte Projektionsfläche des Künstlers, der ihm jene Erscheinungsweise verleiht, die dem Künstler die liebste und nächste ist. So wird der weibliche Körper dann das Fleisch gewordene Double eines jungen, unschuldigen Mädchens, einer Femme Fatale, einer Hure oder einer Heiligen. "Was die Liebe für die Dichter und die Erzähler bedeutet, das ist der Akt für die Maler", rief Paul Valery. Indem der Künstler sich selbst in sein Werk hinein projiziert, ruft er ebenso die Projektionen des Betrachtenden hervor. Die Erscheinung des bildlichen Gegenstandes vollzieht eine Verwandlung von der Intimität bis zum Kollektiven, und der (Intimitäts-/Vergewaltigungs-) Akt des Künstlers wird zum öffentlichen Schauspiel für ein Publikum, das es versteht, das Begehren des Künstlers zum eigenen Genießen zu nutzen.

Die Kunst ist immer auch ein Spiegel ihrer Zeit. Otto Dix, der großartig bissige Milieu-Maler sagte, dass es das Was in der Kunst sei, das dem Wie voraus gehe, aus dem dann wieder das Was hervor gehe. Das führte dann in der Moderne vor und zwischen den Weltkriegen zum grellen, hysterischen Ausdruck des Leids, des Kitsches sowie der Körpererfahrung des Einzelnen. Die fordernde, Besitz ergreifenden, und selbst-analytischen Sexualität der realistischen und expressionistischen Künstler jener Zeit, wie Dix, Schiele, Grosz, Schad oder Heckel, bleibt in ihrer Intensivität, Schmerzerfahrung und Geworfenheit unerreicht. Ihr psychoanalytisches, fast pathologisches Beharren auf der Hervorhebung und Markierung des Geschlechtlichen, das diese Maler in ihrem Werk zum Thema gemacht haben, hat sie immer wieder an die Grenzen der Kunst gebracht, und ihnen zum Teil den unauslöschlichen Ruf der Pornografie eingebracht.

Während die Künstler sich bis heute als große Verehrer und Produzenten der Nackheit erweisen, zeigen sich so einige Prüdereien bei ihrer Darstellung von sich selbst. Es gibt natürlich Selbstporträts zu hauf, aber nur wenige stellten sich selbst nackt, begehrenswert und erotisch dar. Das Geschlecht war auch bei Carravaggio bedeckt, als er sich als von David enthaupteter Goliath malte, oder bei Paul Gauguin, der als Christus im Olivenhain wandelte, oder bei Dali, der auf Nacktaufnahmen in einem Ei peinlich darauf achtet, sein Geschlechtsteil zu verdecken. Albrecht Dürer war einer der wenigen, der ein nacktes, mit Geschlechtsteil versehenes Selbstbildnis von sich anfertigte.

Das Modell als Double, oder Alter Ego eines Künstlers ist nicht einfach nur seine Projektion, oder ein Ausdruck seines Begehrens, sondern auch das Material, aus dem er als Schöpfer sein ideales Abbild formt. Den Narzißmus der Künstler thematisiert Oscar Wilde in seinem einzigen Roman "Das Bildnis des Dorian Gray". Dort stellt Dorian Gray für den Künstler Basil Hallward den Inbegriff des Schönheitsideals dar. Lord Henry Wotton – ein geistreich-zynischer Dandy – benutzt den noch unverdorbenen Zwanzigjährigen als Objekt eines anmaßenden psychologischen Experiments: Er verführt ihn dazu, sich lustvollen Ausschweifungen hinzugeben, ohne sich von moralischen Bedenken und gesellschaftlichen Konventionen einschränken zu lassen. Voller Abscheu vor seiner Schönheit schleudert Dorian Gray schließlich den Spiegel, den Lord Henry Wotton ihm schenkte, zu Boden und zertrampelt die Scherben.

"Seine Schönheit war es, die ihn zugrunde gerichtet hatte, seine Schönheit und die Jugend, um die er gefleht hatte. Ohne die beiden wäre sein Leben vielleicht frei von Makel gewesen. Seine Schönheit war ihm nur eine Maske gewesen, seine Jugend nur Trug." (ebd. Seite 280f)

In der Kammer, in der er sein Bildnis aufbewahrt, packt er das Messer, mit dem er sechs Wochen zuvor Basil Hallward tötete und sticht auf das Bild ein. Auf einen wilden Schrei hin sehen die Bediensteten nach: In der Kammer hängt ein prächtiges Bild, das Dorian Gray in jugendlicher Schönheit zeigt, und davor liegt ein runzeliger, abscheulicher Toter im Abendanzug mit einem Messer in der Brust. Erst an seinen Ringen erkennen ihn die Bediensteten.

Für viele Kunstliebhaber ist Narziss, der sein einmalig schönes Ebenbild im Wasser sich spiegeln sah, und sich zuletzt in eine Blume verwandelte, der Inbegriff des Künstlers. Es ist weniger die, natürlich auch vorhandene, Selbstverliebtheit des Modells, die den Maler zu verführen sucht, auf dass er ihre Erotik in diesem einen, unvergleichlichen Moment für die Nachwelt auf Leinwand banne. Es ist vielmehr der Narzissmus des Schaffenden, der sich seines lustvollen Objekts bemächtigt, in dem er sich selbst begehrt, seinem Stern folgt und aus dem Ton ihres Körpers sein Schönheits-Ideal formt.

tl_files/liebreiz/bilder/allgemein/Ernst-Ludwig Kirchner - Marcella.jpg tl_files/liebreiz/bilder/allgemein/Edouard Manet - Fruehstueck.jpg tl_files/liebreiz/bilder/allgemein/Pablo Picasso - Der Maler und sein Modell.JPG

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