Nacktaktiv - Anhaltender Trend zur Freikörperkultur

14.01.2013 16:13

"Wir sind nackt und sagen Du!"

Als vor 18 Monaten in der Feldmark von Großburgwedel bei Hannover ein Fahrradfahrer fröhlich, im Adamskostüm die Frische des Waldes genießend, in die Pedale trat, dauerte es nicht sehr lange, bis der nackte Mann von einem Jäger gestellt und wegen des Verdachts auf Erregung öffentlichen Ärgernisses angezeigt wurde. Der Vorfall bekam einige Beachtung in der regionalen Presse und es folgten erregte Diskussionen über Nacktheit in der Öffentlichkeit, Exhibitionismus oder sittenwidriges Verhalten. Bemerkenswerterweise stellte die Staatsanwaltschaft Hannover nach eingehender Prüfung das Verfahren ein Jahr später wieder ein. Dem Mann seien sexuelle Motive und damit eine strafbare Handlung nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen. „Der Beschuldigte ist Anhänger der Freikörperkultur und Freund des Nacktradelns, einer neuen Trendbewegung“, hieß es in der schriftlichen Begründung.

 

Tatsächlich hat der FKK-Anhänger so einige Gesinnungsgenossen, die etwa bei den weltweiten "Nacktradeltagen", oder bei vielen anderen Veranstaltungen in Europa wie beim Nacktbaden, Nacktwandern oder Nacktjoggen, ihre Körperertüchtigung gerne mit der freiheitlichen Attitüde des "Wie die Natur uns schuf" verbinden. Die Frau des Jägers dagegen hält im Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung ihr Erlebnis eher für das Zeichen gesellschaftlichen Verfalls als für einen Trend. Gegen Nudisten auf Gruppenwanderung oder -radtour hätte sie ja nichts. „Aber ein einzelner nackter Mann im Wald, wo Kinder mit Pferden unterwegs sind und Frauen joggen – das ist etwas anderes“, sagt sie. Ob ihr Mann den Tieren des Waldes extra was auf den Pelz brennt, weil auch sie kein Hößchen tragen, ist nicht überliefert.

Nacktverbot bei den Blumenkindern

Anfang diesen Jahres gab es im locker wärmeren San Francisco Streit und Proteste um ein neues Nacktverbot in der Öffentlichkeit, das nach über 40-jähriger Liberalität in dieser Frage dort eingeführt wurde. Völlig nackt durch San Francisco bummeln (gerade mal mit Sonnenbrille, Mütze, Rucksack oder Schuhen ;-) bekleidet) ist seit November 2012 verboten. Der Stadtrat stimmte mit knappen sechs zu fünf Stimmen für eine entsprechende Verordnung. Mit einem ersten Einspruch vor Gericht sind die Nudisten nun gescheitert. Gerade eine Handvoll Nudisten protestierte vor dem Rathaus gegen das neue Nacktheitsverbot. Dutzende Polizisten, Reporter und Passanten schauten dabei zu, als die Demonstranten die Hüllen fallen ließen und Schilder mit der Aufschrift "Body Freedom" hochhielten. Die Festnahmen wurden dann von lauten Buh-Rufen der Aktivisten begleitet. Das neue Gesetz in der einstigen Hippie-Hochburg sieht Geldstrafen von maximal 500 Dollar vor, bei wiederholten Verstößen droht aber auch Gefängnis bis zu einem Jahr.

Der homosexuelle Stadtverordnete Scott Wiener, der das Schwulenviertel Castro vertritt, hatte das Nacktheitsverbot eingebracht. Die Zahl von Nudisten sei in den vergangenen Jahren in seinem Bezirk deutlich gewachsen. Vor allem Anwohner und auch Geschäftsleute hätten sich über die öffentliche Nacktheit beschwert, argumentierte der Politiker im Stadtrat. Ausgenommen von dem Nacktheitsverbot seien besondere Anlässe und Straßenfeiern wie die jährliche Schwulenparade, berichtet der Spiegel. Auch an Stränden und auf Privatgrundstücken darf man sich weiter ausziehen. Der Spiegel zeigte die 43-jährige Gypsy Taub, die zu der kleinen Gruppe Nudisten zählt, die zugleich mit einer Klage gegen das Verbot vorgehen wollen. „Ich bin hier, um mein Recht auf freie Meinungsäußerung zu verteidigen“, sagte die dreifache Mutter während ihrer Verwarnung und Verhaftung. „Dafür nehme ich Verhaftung und Geldstrafen in Kauf.“

Echten Nudisten und FKK'lern geht es um mehr als bloß die körperliche Nacktheit an sich. Da Klamotten oft als Statussymbole genutzt werden oder eine bestimmte Mode ausdrücken, führt das Fehlen von Kleidung zu einer Angleichung, Egalisierung der so Handelnden. Schon früh, noch vor dem ersten Weltkrieg in der aufkeimenden Nudisten- und Freikörper-Bewegung entstand der bekannte Leitsatz "Wir sind nackt und sagen Du!", der noch einmal unterstreicht, dass beim FKK der Mensch an sich im Vordergrund steht, und nicht das Materielle, wie in vielen anderen Bereichen des Lebens. FKK-Gesellschaften sind also beinahe als eine eigene Art von Gesellschaft zu verstehen, eine spezielle Subkultur, die nur in wenigen Ländern so akzeptiert wird wie in Deutschland.

Back to the Roots!

Als Nudisten werden Menschen bezeichnet, die in vollen Zügen die Natürlichkeit ihrer Körper genießen. Aus diesem Grund werden sie auch Naturisten genannt. Getreu dem Motto "Back to the Roots" bewegen sie sich in der freien Natur im Adam- und Eva-Kostüm, komplett textilfrei. Während die Anhänger der Freikörperkultur meinen, beim Entkleiden ihre Zwänge abzulegen, werden ihnen aber gleichzeitig von der Gesellschaft neue Regeln auferlegt. Denn nicht jeder hat Verständnis für nackte Haut in Öffentlichkeit, schon gar nicht in der eigenen Umgebung. Nicht jeden beflügelt das Gefühl purer Nacktheit. Nudisten müssen sich deshalb viel mit Vorwürfen auseinandersetzen, dass sie angeblich absichtlich provozieren wollten. Sie beteuern jedoch immer wieder, dass die Nacktheit bei ihnen durch keinerlei sexuelle Motivation hervorgerufen wird. So wie bei Exhibitionisten, denen es allerdings nicht um die Nacktheit als solche geht, sondern eher um den Schock und die Überraschung bei ihren Opfern. Derlei Bemächtigungsversuche verpuffen aber bei Geselligkeit, Gleichheit und allgemeiner Akzeptanz. Zum Liebe machen gehen natürlich auch Nuddisten bevorzugt ins Privatée.

Im Volksmund wird vieles, was mit dem Nacktsein zu tun hat, mit Freikörperkultur verbunden, doch das ist nicht korrekt. Bestes und häufigstes Beispiel dafür ist die Textilfreiheit in der Sauna. In deutschen öffentlichen Saunen ist die Nacktheit obligatorisch, jedoch alleine aus gesundheitlichen Gründen. Die wenigsten Saunabesucher sind dort nackt, weil sie das nackte Beisammensein praktizieren wollen, sondern deshalb, weil die Regeln der Sauna es nun einmal so gebieten.

Die kollektive Nacktheit kann auch in der Sauna dazu führen ein bestimmtes Wir-Gefühl zu erzeugen. Dies ist jedoch nicht alles. Obwohl die großen Saunabereiche heutiger Thermalbäder nur noch zu einem Bruchteil aus den Saunen an sich bestehen, herrscht normalerweise auch in den anderen Zonen des Saunabereiches das Gebot der Textilfreiheit. Beispiele dafür sind die modernen Pool- oder Duschwelten solcher Anlagen, in denen das Nacktsein auch aus wirtscchaftlichen Gründen beibehalten und sogar erweitert wird.

Die Stadt der Nackten

FKK-Strände wiederum gibt es an einigen Orten der Welt, vor allem jedoch in Deutschland und Frankreich. Die höchst lebendige und weit verbreitete FKK-Tradition in der DDR bis 1989 hat sich bis heute gehalten und den anhaltenden Trend betätigt. Speziell die Ostsee und Orte wie Sylt oder Norderney sind seit Jahrzehnten als FKK-Spots bekannt. Gleiches, wenn auch in kleinerem Maßstab, gilt auch für Flüsse und Seen in ganz Deutschland, bis an die Isar nach München.

Vollendet wird das FKK-Lebensgefühl allerdings erst durch Nacktheit auch abseits von Strand und Wasser, nämlich auf Campingplätzen, die speziell auf die Freikörperkultur ausgelegt sind. Dort ist es normal, nackt einzukaufen oder Essen zu gehen. Das Zentrum der Welt, was FKK angeht, ist sicherlich der französische Ort Cap d'Agde an der Mittelmeerküste, der auch die Stadt der Nackten genannt wird. Das naturistische Quartier ist die Hochburg für Nudisten und empfängt in der Hauptsaison etwa 40.000 Unbekleidete. In Cap d'Adge scheint die Welt Kopf zu stehen: Nicht nur am Strand, sondern auch in Supermärkten, Bars und Diskotheken bewegen sich die Nudisten frei von Kleidung. Wer im Nudisten-Viertel Textilien trägt, sichert sich den Status eines Außenseiters.

Neben FKK-Bereichen an Stränden hat die Freikörperkultur ganze Campingplätze und Feriendörfer erobert. Laut Medienberichten leben etwa zehn Millionen Deutsche ihre nudistische Ader im Urlaub aus. Unter den Nackten tummeln sich aber in den letzten Jahren leider vermehrt Voyeure und Swinger, wie von Urlaubern berichtet wird, die den Strand des Nudisten-Camps zunehmend in eine große Liebesspielwiese zu verwandeln suchen. Warum nutzen sie den Strand nicht lieber nachts, quasi als natürlichen Dark-Room, wenn die übrigen Sonnenanbeter schlafen? Die FKK-Wirtschaft stört sich an den Sex-Touristen jedoch nicht, da sich Sex bekanntermaßen gut verkaufen lässt. Deshalb verlaufen die meisten Anzeigen gegen die "anzügliche Freikörperkultur" auch sprichwärtlich im Sande. Dabei sollten Veranstalter und Publikum eigentlich im eigenen Sinne gegen solcherlei "Sexismen" vorgehen und diese in den Hintergrund bringen. Unter jenen All-Porn-Profil-Neurotikern und ihren weiblichen Pendants leidet immer stärker der Ruf der Nudisten. Neue/alte Vorurteile erstarken, und mit dem Ruf nach dem Gesetz verschärfen sich auch die liberalen Geschäftsgrundlagen für die Verantwortlichen wieder.

 

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