Nacktheit als Protest

25.01.2012 20:11

FEMEN-Aktivistin

Trotz bitterer Kälte protestierten, unter vielen anderen Demonstranten und Demonstrantinnen, auch drei Ukrainerinnen mit nacktem Oberkörper gegen das Weltwirtschaftsforum in Davos. Ihre Oberkörper hatten die Aktivistinnen der Gruppe FEMEN mit Protestslogan in schwarzer Farbe bemalt: „Arm wegen Euch“, „Krise - gemacht in Davos“ und „Gangster-Party in Davos“. Vor laufenden Kameras vor dem Zaun des schwer bewachten Konferenzzentrums verwickelten sie mehrere Schweizer Polizisten in ein Handgemenge, als sie am Eingang der Sicherheitszone rüttelten und sich daran machten, über den Zaun zu klettern, bis die Polizei einschritt. Laut Augenzeugen wurden die Frauen bei der Festnahme unangemessen hart angepackt, was ihrem Protest mit nacktem, ungeschütztem Körper gegen die hoch gerüsteten Panzer der Repressions-Kräfte noch eine zusätzliche symbolische Wirkkraft verleiht.

 

Nacktheit als Protestform in der sozial-politischen Auseinandersetzung gibt es indes nicht erst seit gestern, obwohl es im letzten Jahr, dem Protestjahr 2011, wieder zu vielen Nacktprotesten gekommen ist. Schon die legendären 68er setzten Nackheit gezielt als Ausdrucksmittel ihrer Empörung oder Verweigerung ein und etablierten den Nudismus als effektive, wirkungsvolle Protestform gewaltfreien Widerstandes und Zivilen Ungehorsams. Anders als bei den Christopher Street Days oder den Techno-Raves in den Neunzigern, thematisieren die heutigen Nacktproteste vorrangig meist nicht die Sexualität, oder Gender-Rechte, sondern dienen der drastischen oder eindeutigen Stellungnahme in einer politischen Auseinandersetzung. In diesem Zusammenhang ist es interessant, wie demgegenüber Staatsorgane von ihren Bürgern verlangen, sich in Flughafenkontrollen nackig zu machen, wie bei den heiss diskutierten Körperscannern. Nur durch seine Nacktheit, oder ein alternatives Abtatschen der Intimbereiche durch Beamte, soll das Individuum beweisen, dass es kein Terrorist ist.

Die Frauengruppe FEMEN wurde 2008 gegründet, um für die Rechte der Frauen, insbesondere der Prostituierten, in der Ukraine zu kämpfen. "Nacktheit ist ein guter Weg, Leute aufzurütteln", erklärt Inna Schewschenko, eine der „Femen“-Frauen, anlässlich der Kundgebungen in Davos. Ähnlich sehen dass die zahlreichen Aktivisten, die aus Protest gegen die Festnahme und Inhaftierung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei im Frühjahr 2011 einen Internet-Blog kreierten, in welchem sie Nacktbilder von sich veröffentlichen. Damit wollen sie gegen das Vorgehen der Behörden gegen den Regimekritiker protestieren, gegen den die Behörden auch wegen Pornografie ermitteln. Die Ai-Weiwei-Unterstützer zeigen sich in teils überraschenden und ironischen Posen. Einige zeigen sich komplett nackt, andere halten sich ein Bild des beschuldigten Künstlers vor ihre Scham und auch Posen bekannter Kunstskulpturen, wie die "Die Liebenden" von Auguste Rodin, werden nachgestellt.

"Ich liebe meinen Körper und meine Freiheit heiß und innig", schreibt eine Bloggerin mit dem Pseudonym "Suyutong". Auf ihrem Foto trägt sie einen schwarzen Hut, aber sonst nicht viel. Andere Ai-Weiwei-Fans haben Baby-Badefotos im Nachrichtendienst Twitter verbreitet, wieder andere zeigen sich in der Pose des berühmten "Denkers" von Rodin. Es gibt aber auch frontale Nacktaufnahmen, auf denen die Botschaft an die Regierung noch durch einen erhobenen Mittelfinger verstärkt wird. Ein Bild zeigt einfach nur ein entblößtes Hinterteil in Großaufnahme. "Es gibt nur einen Grund, warum sie mich eingesperrt haben, weil ich mich in die Politik eingemischt und die Obrigkeit kritisiert habe", erklärt der Künstler in einem Interview zu den Vorwürfen.

Ein historisches Beispiel für Nacktheit als Mittel des Protests ist die Legende der Lady Godiva. Von dieser Gräfin des 11. Jahrhunderts wird erzählt, dass sie nackt, nur von ihrem langen Haar bedeckt, durch Coventry geritten sei, um damit gegen die hohe Steuerlast der Bürger zu protestieren. 1968 fanden vor allem an den westlichen Universitäten zahlreiche Nacktproteste statt, die wohlgemerkt nicht die sexuelle Befreiung thematisierten, sondern um auf Krieg und Unterdrückung aufmerksam zu machen. Nun scheint es im Zuge der weltweiten Protestbewegungen wieder die Tendenz zu geben, dass Aktivisten, oft mit politischen Transparenten ausgestattet, besondere Aufmerksamkeit auf sich und ihr Anliegen lenken wollen, in dem sie sich bei Demonstrationen oder auf öffentlichen Plätzen teilweise oder gänzlich unangezogen zeigen.

Bei Nacktprotesten sind die Grenzen zwischen einer Protestaktion einerseits und der künstlerischen Gestaltung andererseits fließend, wie bei den Ai-Weiwei-Protesten oder bei verschiedenen Aktionen des Fotografen Spencer Tunick (wie ich in der Galerie Liebreiz berichtete), wo das Arrangement der Nacktheit in den Vordergrund rückt. Viel nacktes Fleisch gezeigt wurde bei den öffentlichen Studentenprotesten gegen Kürzungen im Bildungswesen, oder als 30 Frauen in London nackt für den Cancer Research UK's Race for Life 2008 trainierten, um Aufmerksamkeit für die Krebsforschung zu erregen. 2004 protestierte die italienische Schauspielerin Monica Bellucci gegen das Verbot künstlicher Befruchtung in Italien, indem sie sich nackt auf dem Titelblatt der italienischen Ausgabe von Vanity Fair abbilden ließ.

Um gegen die traditionelle Stierhatz durch die Straßen von Pamplona zu demonstrieren, laufen seit 2002 Aktivisten der Tierrechtsorganisation PETA zwei Tage vor dem ersten Stierrennen nackt durch die Straßen von Pamplona. An dieser Veranstaltung nehmen mittlerweile mehr als 1500 Menschen aus 30 Ländern teil. Die Demonstrationen der Organisation PETA gegen das Tragen von Pelzen, haben den deutlichen Bezug zwischen nackter Haut und dem Pelz hergestellt. Und neben der erhöhten Aufmerksamkeit, derer sich die Aktivisten sicher sein können, ist die Nacktheit ein starkes Symbol für die Existenzialität, Schutzlosigkeit und Unschuld des Menschen im Angesicht von Staatsmacht und Gewaltherrschaft. Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von Nacktheit als Protest ist der jährliche World Naked Bike Ride, mit dem unter anderem auf die Gefahr der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und die Verletzlichkeit des menschlichen Körpers im Straßenverkehr hingewiesen wird.

Kürzlich hatte ihr Nacktfoto im Netz Ägypten aufgewühlt, jetzt könnte der Kunststudentin Aliaa Magda el-Mahdy ein Gerichtverfahren drohen. Radikalislamische Juristen haben die junge Frau angezeigt und werfen ihr und ihrem Freund vor, die Gesellschaftsordnung zu untergraben. Auf ihrem Blog hatte die 20-jährige Aliaa nackt gegen die Zensur und für mehr Respekt in Ägypten protestiert. In Ägypten, wo Nackheit verpönt ist, sorgt solch eine Aktion, im Gefolge des arabischen Frühlings und des Sturzes von Mubarak, natürlich für großen Aufruhr.

Aliaa Magda el-Mahdy präsentiert sich wie Allah sie schuf. Nackt, nur mit halterlosen Strümpfen und Ballerinas bekleidet stellt sie sich der Zensur entgegen. In einem Interview mit dem Sender CNN erklärt die Bloggerin, ihre Nackheit deshalb offensiv einzusetzen, "weil ich mich schäme, eine Frau in einer Gesellschaft zu sein, in der Frauen nichts anderes als Sex-Objekte sind, die täglich von Männern schikaniert werden. Das Nacktfoto ist Ausdruck meiner Selbst und ich verstehe den menschlichen Körper als die beste künstlerische Umsetzung davon. Sex wiederum ist für mich ein Ausdruck von Respekt, eine Leidenschaft für die Liebe, die in Sex gipfelt, um beiden Seiten zu gefallen."

Solche Aussagen und die Aktfoto-Aktion sind eine scharfe Provokation im islamisch geprägten Ägypten, in dem das Mubarak-Regime religiöse Kräfte bis zur Revolution im Frühjahr 2011 brutal verfolgen ließ. Als ungehörig gilt in der arabischen Welt außerdem, dass sich Mahdi auf dem Profilbild ihres Blogs Arm in Arm mit einem jungen Mann, vermutlich ihrem Freund Amer, zeigt, aber nicht mit ihm verheiratet ist. Die Anklage gegen Aliaa Magda el-Mahdy und ihren Freund lautet nun, sie verbreiteten Unmoral. Wegen Missachtung der Religion sollen sie nach islamischem Recht bestraft werden, das kann eine Geldstrafe genauso bedeuten, wie eine körperliche Züchtigung.

Zur Erregung öffentlichen Ärgernisses kann die Nacktheit auch hierzulande schnell geraten, auch wenn nicht so drakonische Strafen drohen, wie in den meisten anderen Kulturen der Welt. Die Mehrheit der Menschen wird auch hier weiterhin erschrocken oder wütend auf eine Konfrontation mit Nacktheit reagieren, sofern sie nicht durch die Sensationslust der Medien und deren Gier nach "nackten Tatsachen" längst müde und ignorant gegenüber der "Pornografisierung unseres Alltags" geworden sind, wie es für den Spätkapitalismus bezeichnend zu sein scheint.

Darin liegt auch die Gefahr für die gute Sache, dass Nacktheit bei vielen immer noch eine krasse Abwehrhaltung auslösen kann und dadurch ein Ankommen und Aufnehmen der Botschaft beim Publikum eher verhindert wird. Durch zu viel Nacktproteste wird sich der Aufmerksamkeitseffekt eher abschleifen und die starke Symbolkraft der Nacktheit immer mehr abstumpfen, bis nackte Aktivismen zur Befreiung des Volkes ebenso billig zu haben sind, wie Freizügigkeiten beim Casting einer Model-Show..

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