Otto Muehl - Frevler und Ferkel der Kunst

25.10.2013 13:53

Otto Muehl Ausstellung Wien 2004

Otto Muehl war einer der umstrittensten Provokateure der Kunst. Am 26. Mai 2013 ist er nach langer, schwerer Krankheit in Portugal mit 87 Jahren verstorben. Als Mitbegründer der kurzen, aber heftigen Phase des Wiener Aktionismus von 1963 bis 1971, zusammen mit Günter Brus, Peter Weibel, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler, rebellierten und inszenierten die Künstler, in Anlehnung an die amerikanische Happening- und Fluxus-Kunst, schamanistisch-rituell-durchgeknallte Gruppenaktionen gegen Establishment und Kultur. Im Unterschied zu Straßentheatern bespielten die Kunst-Aktionisten jedoch Kunsttempel und Universitäten, mit drastischen Spektakeln unter vollem, selbstverständlich nacktem Körpereinsatz sowie ritueller Ekstase; und dem Einsatz von literweise Kunst- und Schweineblut, Materialabfällen und Fetisch-Zeremonien. Besondere Berühmtheit erlangten die Wiener Aktionisten durch die von den Medien als "Uni-Ferkelei" bezeichnete Aktion vom 7. Juni 1968, von Muehl, Brus, Oswald Wiener und anderen, die eine Anklage aller Beteiligten nach sich ziehen sollte.

 

Persiflage


"Land der Hämmer!, ...Land der Lämmer!", 'skandierten sie lauthals. Drei nackte Männer, die um die Wette urinierten: Otto Muehls Pissaktion. Dann: Die Peitsche vom Brus trifft dem Olschewski seinen Rücken. Die anderen scheißen und kotzen auf die Pulte, während sich wieder der Brus einen runterholt. 'Kunst und Revolution' heißt ihre Aktion, die dann als "Uni-Ferkelei" in die Kunstgeschichte eingeht. "Sie, heute nennen wir sie Wiener Aktionisten, schmierten also mit Organischem sich selbst, Leinwände, Tische, Böden und anderes ein. Sie schnitzten und ritzten. Onanierten und kotzten. Vor laufendem Publikum. Aktion hieß das dann. Eine davon, die Aktion Kunst und Revolution fand im Hörsaal 1 des Neuen Institutsgebäudes (NIG) in Wien statt. Danach schrieben die Zeitungen über "Kakademiker" und "Sexkommunisten". Es war direkte Kunst wider die brave, bürgerliche Kunst und überhaupt." schreibt der Kolumnist Georg Oberhumer bei fm5.at, anläßlich einer Retrospektive 2009 in Wien.

Mit bedingungsloser Provokation wandte sich der Wiener Aktionismus gegen repressive gesellschaftliche Zustände und suchte bewusst die Konfrontation mit staatlicher und kirchlicher Autorität. Über drastische Ausdrucksweisen und aggressive Tabuverletzung wie Orgiendarstellungen oder Kreuzigungsszenarien, sollten einerseits Mechanismen offener und vor allem versteckter (unterdrückter) Grausamkeit und Perversion in der bürgerlichen Gesellschaft dargestellt werden, andererseits sollte ebendiese Gesellschaft damit schockiert werden – was Ihnen unziemlich gut auch gelang.

1972 gründete er erst in Wien, dann in Friedrichstadt, dann bei Faro in Portugel die "Muehl-Kommune", der eine sektenartige Struktur zwischen seinen Jüngern (auch Minderjährigen) und ihm wahrlich nicht von der Hand zu weisen ist. Bis heute wird deswegen über Muehl in der Kunstszene erbittert gestritten und sein ehemaliger Schüler Günter Brus distanzierte sich unl#ängst von den Eskapaden jener Zeit. Die Gemeinde von Anhängerinnen und Anhängern Muehls schwoll im Laufe der Jahre auf 240 an. Insgesamt lebten um die 700 Menschen eine Zeit lang unter seinem Kommando, so attraktiv war das Konzept, das dort radikal gelebt wurde: Selbstverwaltung und freie Liebe.

 

Vernissage


"Heute, zur Ausstellungseröffnung, sind viele da.", schildert Oberhumer die späte Rehablitierung der Wiener Aktionisten durch das Kunstestablishmen 2009. "Mit ihren Seidenschals und den roten Brillen. Mit ihren Pelzkrägen und dem Weißwein in der zittrigen Hand. Der Altersschnitt um die Fünfzig. Kaum Junge hier. Auch der "schmerzhafte Schock", den Kurator Hubert Klocker "bei der Betrachtung der Fotografien der Aktionisten" spüren will, fehlt. Die aktionistischen Arbeiten regen nicht mehr auf. Sie sind kaum noch verstörend."

Was einmal Kritik war, wurde ohnehin gefressen. Galerien, Museen, Sammlungen, und Politik haben sich den Aktionismus einverleibt. Die Arbeiten sind Klassiker. Die Tabus sind heute auch nicht weniger. Vielleicht diffiziler und selbst mehr versteckt. Welche historische Bedeutung für die Kunst sowie diskursive Relevanz der Wiener Aktionismus heutzutage hat, wo erneut das Thema Erotik und Sexualität als moralisches Problemfeld erkundschaftet wird (Stichworte 'Sexismus', Kindesmissbrauch oder 'Frühsexualisierung), fasste ein Besucher der Vernissage folgendermaßen zusammen:

"Zumindest onanieren wir wieder nur auf dem Klo der Kunstakademie. Der Schwarzkogler hat sich vor dreißig Jahren umgebracht, heißt es, der Nitsch mit seinem "Orgien-Mysterien-Theater" in Wien lässt sich jetzt Staatspreise umhängen und spendet Bilder an das Rote Kreuz, der Mühl hat sich nach Portugal in seine Kommune zurückgezogen und der Brus zeichnet für das staatliche Archiv."

 

Radikale Enthemmung, ritueller Missbrauch

Otto Muehl blieb zeitlebens ein Provokateur, Rebell und Außenseiter der Kunstszene. Der einst von dem Dichter Ernst Jandl zum Kunststudium überredete Muehl setzt setzte seit 1961 aktionistische Verfahren in seiner Malerei ein und begann ab '63 Happenings mit Brus und Nitsch zu veranstalten. Tief geprägt von mehreren Fronteinsätzen im letzten Jahr des 2. Weltkrieges, orientierte sich Muehl am Begriff der 'Materialkunst'. Er verstand darunter expressiv und exzessiv eingesetzte Substanzen wie Lebensmittel und Waschpulver und den als bilderisches Material begriffenen menschlichen Körper. Daraus entstanden dann um 1970 kollektive Aktionen mit gespielten Sex-Orgien oder Kreuzigungsszenen, mit denen Muehl in regelrechten 'Aktionstourneen' auch das deutsche Publikum schockte.

„Ich hatte eher Angst vor ihm.“ So erinnert sich der Filmemacher Paul-Julien Robert in der taz an Otto Muehl. Nackte Menschen saßen dort in der Kommune, im Plenum im Kreis, und wie bei evangelikalen Sekten mussten Einzelne in die Mitte treten und ihr Innerstes herausschreien, ihre Ängste, Begierden, verborgenen Fantasien herauslassen. Radikale Enthemmung durch radikale Selbstdarstellung war die Devise.

Privateigentum wurde abgeschafft, Kinder gemeinsam aufgezogen und in einer Schule auf dem Hof unterrichtet. Man lebte frei nach Wilhelm Reich: „Die Familie ist die Brutstätte aller Geisteskrankheiten.“ Wirtschaftlich setzte man auf Selbstversorgung durch landwirtschaftliche Produktion und Schweinemast. Verschiedene Werkstätten, wie eine Tischlerei und ein Mechanikerbetrieb, sowie ein auf Entrümpelungen spezialisiertes Transportunternehmen sorgten für Einkommen. Dank glücklicher Börsenspekulation schwamm Muehl sogar im Geld und konnte eine Zweigstelle auf der Kanaren-Insel Gomera errichten.


Blutleer, die Luft ist raus


Die Abschaffung des Privateigentums ließ sich nicht mehr aufrecht erhalten, die freie Sexualität verlor in Zeiten von Aids endgültig ihre Anziehungskraft, und Machtbeziehungen gegenüber Minderjährigen und Frauen überschatten Privatsphäre und kleinbürgerliche Familienidylle trotz "fortschrittlich-freiheitlicher Moral" wie bei den Grünen. Dass die freiheitlichen Ideale nur teilweise verwirklicht wurden, dämmerte vielen Kommunarden erst nach und nach. Der freie Sex stand vor allem dem immer mehr zum Guru mutierenden Muehl zu, dem alle Frauen zu Willen zu sein hatten. Nicht nur die erwachsenen Frauen, wie spätestens während des Strafverfahrens im Jahr 1991 offenkundig wurde, das Otto Muehl schließlich sieben Jahre Haft eintrug. Die Justiz warf ihm Sittlichkeitsdelikte, Vergewaltigung, Verstöße gegen das Suchtgiftgesetz und Zeugenbeeinflussung vor. Vor allem wegen des Missbrauchs Minderjähriger wurde er verurteilt.

Seine Haft war zweifellos eine produktive Zeit, aus der zahlreiche Gemälde stammen. „Erst in der Haft“, so Muehl im Katalog zu einer Ausstellung im Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) im Jahr 2004, „habe ich mich wieder auf den Aktionismus besonnen, die Justiz zwang mich dazu.“ Die Retrospektive im MAK hatte für viele aber nicht den gewünschten Effekt der künstlerischen Rehabilitierung. Mehrere Missbrauchsopfer nahmen die Ausstellung zum Anlass, um ihre Geschichte zu erzählen. Öffentlich entschuldigt hat sich Otto Muehl bei seinen Opfern erst 2010 in einem offenen Brief anlässlich einer Ausstellung im Wiener Leopold Museum.

Über Muehls künstlerische Bedeutung sind die Meinungen geteilt. Manche stoßen sich an den explizit sexuellen Darstellungen oder den frauenverachtenden Perspektiven. „Otto Muehl panierte weibliche Gesäße wie Wiener Schnitzel, überschüttete nackte Körper mit Farbe und Essen – er schockierte, und das war damals noch möglich, mit Witz und Ironie“, erinnerte man sich im ORF-Hörfunk. Muehl nahm Anleihen bei Picasso und van Gogh, bei den (abstrakten) Expressionisten sowie der Art Brut. Seine letzten Werke erinnern in ihren knalligen Farben und harten Konturen - mit Adolf H., Comicfiguren und nackten Frauen - an eine politische Pop-Art, die ihre Provokation nun in eher inhaltlichen Themenbearbeitungen wie Faschismus, Kommerz oder Justiz sucht, als in Materialschlachten mit Essen, Öl und Blut.

 

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